## Title: Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 10. August 1817 (Teil 1 von 2) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030161 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 10. August. Auf dem Theater am Linkeschen Bade. Bayard, Trauerspiel in 5 Aufzügen von Kotzebue. Man hat in einzelnen Recensionen seit der Erscheinung dieses Stücks vor 17 Jahren of seinen ganzen Unmuth daran ausgelassen, und dabei nur vergessen, daß der Dichter selbst, seiner ausdrücklichen Bevorwortung zu Folge, nur eine Reihe von Gemälden geben wollte, in welchen der Held des Stücks immer die Hauptfigur macht, die ganze Bilderreihe aber blos an sehr losen Faden angereiht ist. Daß ist freilich eine sehr sonderbare Einheit in der Vielheit, bei welcher jede strengere Kunstanforderung entweder schweigen oder tadelnd entgegnen muß. Allein, einzelne Situationen sind herrlich darin, und wie sie vieleicht nur diesem Dichter gelingen. Daher sich das Stück auch auf jedem Repertoir erhielt, das nicht bloß Schmitterlingsjagd auf die neuesten Ephemeren macht. Frau von Stael ließ sich einige Scenen aus diesem Bayard, als sie in Weimar lebte, übersetzen und fand die Scene mit dem jungen Maler und seiner Geliebten, so wie die Unterredung zwischen Tardieu und Bayard, wo dieser seine Beute jenem abtritt, so ergreifend und wahr, daß wohl nur die Fülle des Stoffs sie abhalten konnte, im 25. Kapitel ihres Werks sur Allemagne, wo sie Kotzebue's Verdienste im Verstehen theatralischer Wirkungen und Anlagen der Situationenen volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, auch von seinem Bayard einige Proben anzuführen. Nur den Schluß, wo Bianka von Manfrone in moralischen Sinne mit Füßen getreten wird, fand sie empörend. Sie hatte Recht, und wir erinnern uns erfahren zu haben, daß bloß um dieser vom Dichter recht con amore ausgemalten Unnatur willen, viele Fein empfindende nicht zu bewegen waren, dieß Stück zum zweiten Male zu besuchen. Wie leicht wäre es dem Dichter, dem nie etwas schwer wurde, gewesen, uns solche Unlust zu ersparen. Ueberhaupt vernichtet die doppelte Liebe der Miranda und Bianka, die hier als eine zweifache Schnur, an welcher alle übrige Situationen angereiht werden, durchs Stück läuft, alle reine Theilnahme, so künstlich auch der Dichter beide in einander zu schlingen versucht hat. Was der Schreiber dieser Anzeige bei der Entstehung dieses Stücks dem Dichter vorschlug, kann er auch heute nicht zurück nehmen. Das Stück sollte Miranda heißen, und Bayard, der wohl in Savoyen sich für den Muff seiner Dame schlagen, aber nie lieben konnte, sollte nur der Finger seyn, an welchen dieser Ring gesteckt würde. Galt es aber einmal nur einzelner, an einander gereihter Scenen; so durfte in Bayards glänzenden Heldenleistungen bei einem deutschen Dichter sein Zusammentreffen mit dem edelen Franz von Sickingen, bei dem von Bayard sechs Wochen so tapfer vertheidigten Mezieres, nicht übergangen werden. Bayards Rolle gehört zu denen, wo der verständige Schauspieler, der überhaupt die Mittel dazu hat, sich nur gehen lassen darf. Der gediegene Muth dieses Ritters ohne Furcht und Tadel verschmäht durchaus alle Schminke in Geberdung und Tonhebung. Herr Kanow, der uns einen wackern Bayard gab, konnte hier durch weise Mäßigung seiner Kraft nur gewinnen. Besonders gefiel er uns beim Ritterschlag und der letzten Scene, wo der verurtheilte Manfrone sich so widerwärtig zeigt. Herr Geyer spielte diesen Bösewicht mit achtungswürdigem Eindringen in die schwarzgallige Rachsucht eines gereizten Italieners mit voller Kraft, besonders in der Schlußscene. (Der Beschluß folgt.)