## Title: Vorab-Besprechung für die Schaubühne zu Dresden vom 14. April 1817 (Teil 1 von 2) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030106 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ König Yngurd,Trauerspiel von A. Müllner.Die Aufführung dieses nordischen Helden- und Trauerspiels mag für viele Bühnen ein Wagestück heißen; wird auch nicht eben Nacken und Hals dabei gebrochen, so kann doch manche Gebrechlichkeit dabei zum Vorschein kommen. Auch ist es, seit der geniale Dichter es vollendete, nach einem Zeitraume von einigen Jahren, nur auf wenigen Bühnen unsers deutschen Gesammtvaterlandes in dramatischer Verkörperung aufgetreten. Unsers Wissens geschah dieß bis jetzt nur in Wien und in Braunschweig. Darum mag es der liberalen Direction, in deren Verwaltung die Dresdner Bühne einem Baume gleicht, der täglich neue und frische Zweige treibt, eben so wohl als dem trefflichen Künstlerverein, der in der Darstellung jeder Gattung, außer der Langweiligen, sich gefällt, doch wohl angerechnet werden dürfen, daß uns in den nächsten Tagen der seltene Genuß erwartet, dieß viel in voraus besprochene und wegen seiner Darstellbarkeit oft angefochtene Trauerspiel auf unserer Bühne aus den todten Buchstaben ins lebendigste Leben der Vorstellung hervorgerufen zu sehn. Guter Wein bedarf keines ausgehangenen Epheukranzes und ein wahres Meisterwerk keines wortreichen Commentars. Indeß erfand schon die Dramaturgie jener alten classischen Völker einen Vorredner, den Prologus. Die Britten haben ihn beibehalten und ihm oft die satyrische Geißel, oft auch nur den Friedensstab zum guten Vernehmen zwischen Dichter, Schauspieler und Zuhörer in die Hand gegeben. Die besten Köpfe in England haben kleine Meisterstücke in dieser Form geliefert. Die großen Heroen dramatischer Dichtkunst, Göthe und Schiller, haben ihn mehrmals auch unter uns wieder aufzuwecken versucht. Auf jedem Fall muß dieß von dem Dichter selbst im freundlichsten Einklang und Einverständniß mit den ausübenden und darstellenden Künstlern ausgehen. Nun, so mag wenigstens ein kurzes Vorwort, eine anspruchslose, kurze Andeutung bei einer nicht eben alltäglichen Erscheinung weder als vorlaut, noch als überflüssig gescholten werden. Noch ist das Stück selbst nicht durch den Druck in die Hände des Publikums gekommen *) *) Es erscheint bei demselben Verleger, der auch die Schuld gab, bei Göschen in Leipzig, in der bevorstehenden Ostermesse und zu gleicher Zeit auch in Wien, in einem dem Gehalte des Stücks angemessenen Gewande.. Nur einzelne wenige Bruchstücke wurden früher theils in der Zeitung für die elegante Welt, theils in dem dramaturgischen Wochenblatte in Berlin zur Probe mitgehteilt. Der Held des Stücks, Yngurd, der Bauernsohn von Lessö, der Schwiegersohn des Norderkönigs Ottfried und sein erwählter Nachfolger im Reiche der Normänner geworden ist, unterliegt der höchsten Versuchung, die einem, stets mit Glück gekrönten Kriegshelden und Sieger begegnen kann, dem Zweifel an der gerechten Weltordnung. Brunhilde, die Mutter des rechtmäßigen jungen Kronprätendenten Oskar, – denn sie, die junge Gemahlin des alten Ottfried’s, wurde von Oskar erst nach dem Tode des Gemahls entbunden, als sie schon wieder ins Haus ihres Vaters, des Dänenkönigs, zurückgekehrt war – bekämpft den ihr doppelt verhaßten Yngurd mit allen Waffen gereizter Rachsucht und alles aufopfernder Mutterliebe. Sie hat ihre Schaaren, die sie selbst an der norwegischen Küste in Begleitung ihres Bruders, des Dänenkönigs Alf, auswirft, mit starken Getränken berauscht. Die Krieger des überraschten Yngurd werden zum erstenmal, seit er selbst anführt, zurückgedrängt. Da wird der zarte, 16jährige Oscar, der mit der Harfe besser als mit dem Schwerte umzugehen wußte, aber auch mit ans Land gestiegen war, um sein Kronenrecht erkämpfen zu helfen, durch unwiderstehlichen Zauber seiner Nichte, die an einer Felsenspitze dem Kampf zusieht, fortgezogen, ein Gefangener Yngurd’s. Die Schaale des Siegs sinkt aufs neue für Yngurd. Aber Oscars liebliche, friedliche Erscheinung wirkt wie ein Talismann auf die normännischen Barone, die des ewigen Kampfs müde, des eisernen Yngurd’s überdrüßig, der aufgehenden Sonne, die ihnen nun selbst ins Auge leuchtet, huldigend ihr Herz und Heer zu Oscar wenden. Yngurd’s Kriegsschaaren kommen aufs neue ins Gedränge. Verath umstrickt ihn. Unglücksboten bringen ihn zur Verzweiflung. Sein sichtbar guter Engel, seine Gemahlin Irma, die ihn angefleht hatte, den stolzen Sinn zu beugen, zum Privatstand zurückzukehren, kann seinen Schwur: Sieg oder Tod, nicht erschüttern, und seine Zuversicht auf Gott und Sich entweicht. Hier tritt der Wendepunkt des Drama’s ein. Yngurd, in welchem alles Herrliche und Königliche vereint ist, geht durch den Zweifel in sich selbst unter. Denn wie der wackre Degen Erichson spricht: Wohl mag auf Erden Großes nicht bestehen, Doch in sich selbst nur soll es untergehen. Er hat den König der Könige, den Lenker der Welten angefleht, die ihn umstürmende Noth nur jetzt zu tilgen, damit er frei wählen könne. Vergeblich. Sein treuer Schotte, sein Schatten, Marduff, keucht herbei und bringt ihm die Kunde von der Vasallen Abfall und erzählt, wie die Abtrünnigen aus seinem Heere brüllen: Oscar ist König, nieder mit dem Bauer! Da durchzuckt ihn der Gedanke: Brunhilde siegt mit dem Satan. Held Yngurd soll einem Weibe unterliegen. So sei auch von mir der Bund mit der Hölle geschlossen. Nun ruft er, an sich selbst verzweifelnd und den Boden stampfend: Herauf du Satan! Bethöre die Dänen durch ein Blendwerk und Yngurd ist dein! Kaum hat er sich so den höllischen Mächten genähert, so erscheint ihm der Sieg. Das Lager der Dänen ist erstürmt, Brunhilde ist geschlagen, Oscar wird als Gefangener vor ihn gebracht. Denn dieser ist durch Asla’s Erscheinung auf der Felsenspitze, von wo sie der Schlacht zusah, bethört und durch geheime Bande der Wahlverwandschaft unwiderstehlich von ihr angezogen, in einen Hinterhalt gefallen. Yngurd’s untadelhaftes Heldenthum ist hin. #lb#Sein Fall von diesem Augenblicke an unwiderruflich. In der darauf folgenden Schlacht durchglüht ihn wilde Mordlust. Es war, so erzählt er seiner Gemahlin, als stünde das Menschengeschlecht mir feindlich gegenüber. Als später Oscar in der Königsburg von Auslo, wo er den Frauen zur Bewahrung anvertraut war, durch die Liebe zur Asla plötzlich zum Manne gereift, in den Vertrag nicht willigt, den Alf der Dänenkönig, sein Oheim, einzugehen bereit ist, widersteht Yngurd nicht mehr den Einflüsterungen der Hölle, der sein schuldiges Haupt verwirkt ist. Marduff, selbst kein Bösewicht, nur dem Yngurd fürs Leben verpflichtet, erhält nun den Blutbefehl: Oscar sterbe. Aber es ist nur ein Hauch, der noch nicht zur That werden soll. Die Hölle vollführt ihn in Blitzes-Schnelle. Oscar selbst bietet die Gelegenheit. Ottfried’s Felsengemach, die Todtenpforte, lockt mit geheimen Ahnungs-Zauber. Nun kommt der erhaben grause Auftritt dort im öden Ahnensaal, in welchem Müllner mit der berühmten Scene in Shakspeare’s König Johann zwischen Hubert und Prinz Arthur einen ruhmvollen Wettkampf bestand und um welcher willen schon allein dieser Yngurd in unserer Literatur nie untergehen könnte. Oskar entrinnt dem Mörder, aber nicht dem Abgrund, in den er herabspringt und nun als der im ganzen Stück vorausgesagte Ritter zerschmettert da liegt. Die Blutschuld aber stürzt auf Yngurd zurück, erst von der verrückten Brunhilde, dann auch von Irma und Asla ihm zurückgespiegelt. Er empfängt im verzweifelten Kampfe, wie dort der befleckte Macbeth, die Todeswunde. Aber er steht viel höher als Macbeth, mit dem er gar keine Vergleichung leidet. Alles ist in jenen Worten der Schlußscene zusammengefaßt: War’s Gottes Hand, die von des Vaters Triften Mich hob auf einen Thron, so ward sie müd', Den Schwachen Riesen aufrecht zu erhalten, Da Satan rief – (Der Beschluß folgt.)